Im ersten Moment scheint es ein Segen zu sein: Ein Haus am Stadtrand, schon etwas älter, nicht mehr ganz in Top-Zustand, und gerade deshalb auch für Otto Normalbürger bezahlbar. Otto und seine Familie vollführen einen Freudentanz. Ottos Frau Ottilie lässt die Sanierungskosten schätzen. Beide freuen sich immer noch und kaufen. Dann ändert sich alles. Jeden Tag nach Feierabend kommt Otto als Letzter auf die Baustelle. Die Kinder sind schon seit dem Nachmittag da. Ottilie hat in der Wohnung der Familie etwas vorgekocht, gegessen wird kalt auf dem Bau. Es ist staubig. Nägel werden aus der Wand gezogen, an anderen Stellen sogar ganze Wände eingerissen. Ottilie kratzt im Treppenaufgang Tapete ab. Ottos Radio dröhnt durchs ganze Haus. Der ständige Lärm zehrt an Ottilies Nerven. Wenn sie abends in die Wohnung zurückkehren, sagt kaum einer noch ein Wort. Ottilie hat keine Zeit mehr für die Erdbeersekt-Abende mit ihren Freundinnen. Neue Kleider sind für die nächsten Jahre auch nicht drin – alles Geld fließt in den Bau. Otto ist froh, wenn er am Wochenende abends einfach nur noch ins Bett fallen darf. Seine Kumpels rufen kaum noch an, um ihn zum Kneipensport zu überreden. Zu oft schon hat er Nein gesagt. Die Kinder hingegen sind froh, wenn Chorprobe und Tanzunterricht anstehen: Sie fühlen sich den Eltern verpflichtet, haben aufgehört, nach der Schule ihre Freunde zu besuchen. Stattdessen gehen sie auf die Baustelle und helfen mit. Nur die Freizeitgruppen sind ihnen als Abwechslung im Alltag geblieben. Jeden Abend entsteht in der Wohnung ein Stau vor dem Badezimmer. Wer je auch nur einen Tag lang von früh bis spät auf einer Haus-Baustelle mitgeholfen hat, weiß: Niemand muss in die Sahara fahren, wenn er Staub, Körner und Knirschelei am ganzen Leib erfahren will. Familie Normalverbraucher macht alles selbst. Gewerbe kauft sie nur ein, wenn auch nach Erklärung im Baumarkt nicht klar wird, wie einzelne Arbeitsschritte genau vonstatten gehen sollen. Die Hände der Familie sind rissig geworden. Unter Ottos Daumennagel lenkt ein Bluterguss alle Aufmerksamkeit der Kollegen im Büro auf sich. Nach eineinhalb Monaten leidet Ottilie unter chronischen Rückenschmerzen. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Den geplanten Sommerurlaub auf der Mittelmeerinsel sagen Otto und Ottilie ab. Die Sanitärfirma saugt mehr Geld auf als ursprünglich veranschlagt. Die Kinder sollen ihre Reise ins Ferienlager natürlich trotzdem antreten. Gemeinsam mit ihren besten Freunden steigen sie in den riesigen Bus voll ausgelassener Teenager. Die Eltern fühlen sich gut: Endlich haben die Kids wieder eine entspannte Zeit vor sich. Ihren Freunden sagen Otto und Ottilie jedoch nicht Bescheid, dass sie entgegen den Plänen in der Stadt bleiben. Sie bauen sich im Haus eine Lagerstätte aus Decken, Luftmatratzen und Kissen. Otto nimmt Ottilie in den Arm, liest ihr bei Kerzenschein aus alten Büchern vor und erzählt ihr, wie schön das Haus sein wird, wenn es einmal fertig ist. Ottilie kann es sehen. Am Ende des Urlaubs, kurz bevor die Kinder zurückkehren, kaufen Otto und Ottilie einen Briefkasten und schrauben ihn an den Zaun: Sie sanieren nicht einfach ein Haus. Sie bauen ihr Zuhause. |